Kitaplatz-Wahnsinn in Berlin: Zwischen Tränen und Telefonterror

Julia

Ich feuere das Telefon in die Ecke und streiche die letzte Telefonnummer von meiner Liste. Vor lauter Wut und Enttäuschung rollen mir heiße Tränen übers Gesicht, die ich nun nicht mehr aufhalten kann.

»Keine Plätze frei« – Ich habe es satt das zu hören.

Seit 8 (!) Monaten sind wir auf der Suche nach einem Betreuungsplatz für unseren kleinen Sohn. In einem halben Jahr soll er tagsüber gut untergebracht sein, wenn ich nach 12 Monaten Elternzeit meine Arbeit wieder aufnehme. Soweit die Theorie. Wöchentlich telefoniere ich mit Kitas, Ämtern, Tagesmüttern und wofür? Dafür, dass ich immer das gleiche zu hören bekomme: Es sind für dieses Jahr keine Plätze frei!

Kitaplatzsuche am Telefon

Rückblick: 8 Monate zuvor

An einem lauwarmen Junitag stehen Sascha, ich und das Baby in meinem Bauch vor einer Kita. Wir sind früh dran zu unserem Termin, den wir telefonisch mit der Leiterin vereinbart haben, und so schlendern wir um das Grundstück herum. Schön sieht es hier aus! Im Garten gibt Obstbäume und kleine Beete, Schaukeln, ein Klettergerüst und freudiges Kindergewusel. Beim Klang der tobenden Kinder fängt es auch in meinem 6-Monatsbauch an zu rumpeln. Ja kleiner Mann, vielleicht werden wir dich nächstes Jahr jeden Morgen hierher zu deinen Freunden bringen.

Sind die etwa alle zur Besichtigung hier?

Als wir wieder um die Ecke biegen stehen plötzlich 20 Eltern vorm Eingang des Kindergartens. Oh, offenbar haben wir gar keinen Einzeltermin zur Besichtigung. Naja, was soll’s. Wir stellen uns zu Frauen mit zum Bersten gespannten Babybäuchen, Eltern mit Babys in Tragetüchern und einem Pärchen mit Kleinkind. Während sich immer mehr beschwingte Eltern unserer Gruppe anschließen, kommen wir ein bisschen ins Gespräch.
»Wann ist es bei euch soweit?« 
»Wie viele Kitas habt ihr euch schon angesehen?«
»Ja, wir stehen auch schon auf Wartelisten…«

Spielplatz Kita Berlin

Endlich öffnen sich die Pforten und eine nette, rundliche Frau bittet uns zum Rundgang herein. Also schieben wir unsere Babybäuche durch die Etagen, von einem Gruppenraum zum nächsten; lachen und staunen über die Bäder mit Toiletten im Mini-Format und stellen uns vor, wie unsere kleinen Wirbelwinde hier bald umherlaufen werden.

»Rufen sie uns doch einfach regelmäßig an! Dann wissen wir, dass sie den Platz wirklich wollen.«

Wie sich später zeigen wird, spielt es keine Rolle, in welcher Einrichtung ich mein Kind am ehesten untergebracht haben will. Darum, welche Erzieherinnen und Räumlichkeiten den besten Eindruck machen und wer mittags Bio-Fleisch anbietet, geht es längst nicht mehr. Die Kitas rühren fleißig die Werbetrommel und laden große Gruppen erwartungsvoller Eltern ein, die sich in Scharen vor den Kindergärten sammeln. Das nur ein Bruchteil von uns zu diesem Zeitpunkt überhaupt Chancen auf einen Platz hat, wird geschickt in einem »Wir nehmen sie in unserer Warteliste auf« verpackt. Zum Abschluss der Besichtigung füllt jeder von uns ein Formular zur Anmeldung aus und wirft es zu den anderen in die Lostrommel.

Babybauch

Mein Kind wird im Herbst noch zu jung sein

Ein Mal im Jahr werden die neuen Gruppen zusammengestellt – der Kindergartenzyklus richtet sich nach den ältesten Kindern, welche die Einrichtung verlassen, um zur Schule zu gehen. Die Anzahl der Kinder die geht, bestimmt die Größe der neuen Gruppen für die ganz kleinen. Zumindest ist das die Methode in allen uns umliegenden Kitas. Im Zeitraum von August bis September beginnt also bei den meisten die Zeit der Eingewöhnung.

Mit meinem im Oktober geborenen Kind habe ich also schon das erste Problem – es wird im August noch zu jung sein. Nicht jeder Kindergarten betreut Kinder unter einem Jahr. Zwar haben wir uns trotzdem auch bei solchen Betreuungseinrichtungen auf Wartelisten setzen lassen, die Chancen stehen aber schlecht.

Schulterzucken beim Jugendamt

Zwei Monate nach der Geburt vom Sohnemann hatten wir eine Sozialarbeiterin vom Jugendamt zu Besuch. Wir nutzten gleich die Gelegenheit, um das leidige Thema Kitaplatz anzusprechen.

»Sie stehen hoffentlich schon auf Wartelisten?!« Fragt sie, während sie in ihrer Tasche nach einem Flyer der zuständigen Abteilung kramt. »Ja, es sind mittlerweile 13.« Seufze ich und scrolle durch meine Exceltabelle. Sie schiebt uns das Stück Papier zu, auf der nicht mehr als Kontaktdaten unseres zuständigen Amtes stehen und versucht sich in einem aufmunterndem Lächeln.

»Es ist zur Normalität geworden, dass Eltern klagen.«

Wir sprechen mit ihr über den Kita-Gutschein, auf den wir seit 8 Wochen warten und erzählen davon, dass wir schon 9 Absagen von Kitas erhalten haben. Schließlich scheint unsere Verzweiflung zu ihr durch zu sickern und ihre Miene wird ernst. »Wissen sie, die Situation ist katastrophal und hausgemacht von der Politik. Vielleicht stellen sie sich schon mal darauf ein vor Gericht zu gehen. Sie haben ein Recht auf einen Platz und könnten zur Not ihren Verdienstausfall einklagen.« Mehr könne sie leider für uns auch nicht tun. Viel Glück und auf Wiedersehen.

Kitaplatzsuche am Telefon

Tja, sorry Chef!

Wenn ich über dieses Thema mit Eltern spreche, deren Kinder bereits in Kindergärten untergebracht sind, höre ich oft eines: »Im September ergeben sich oft noch freie Plätze. Es springen schließlich immer noch Leute ab, keine Sorge!«

Es ist schön, dass man versucht mir Mut zu machen; wie ich das allerdings in Optimismus umwandeln kann weiß ich nicht mehr. Klar kann ich darauf vertrauen, dass sich schon irgendwas ergibt, aber was, wenn nicht?

Ich bleibe dann mal weg

Ich kann doch meinem Arbeitgeber nicht einen Tag vor meiner vermeintlichen Wiederkehr aus der Elternzeit stecken, dass ich mich weiterhin um mein Kind und nicht wie besprochen um meine Aufgaben im Team kümmern werde. Und wie sollen wir unser Leben zu dritt finanzieren, wenn ich nicht wie geplant mein Einkommen zur Verfügung habe? Das finanzielle Sicherheitsnetz wird an Babys erstem Geburtstag aufgeschnitten und wo ich mit meiner kleinen Familie dann lande, bleibt mein Problem.

Die Politik lässt uns Eltern allein

Die Suche nach einem Kitaplatz ist das aufwändigste und zugleich katastrophalste Projekt meines Lebens. Ich fühle mich ausgeliefert; ein Bittsteller der versucht seinen Anspruch geltend zu machen. Gut organisiert, früh dran und doch gescheitert. Ein Ergebnis, das sich auch ohne zusätzlichen Hormoncocktail scheiße anfühlt. Dabei weiß ich wirklich nicht, was ich noch mehr hätte machen sollen. Vermutlich mit Geschenkkörben bei jeder Gelegenheit Klinken putzen? Haben wir einfach Pech, weil wir im geburtenstärksten Bezirk Berlins wohnen?

»Zu viele Geschwisterkinder, für zu wenig Plätze.«

Das jüngste Problem, das mir regelmäßig durchs Telefon ins Ohr quillt, ist der Personalmangel. Die neuen Gruppen seien bereits mit den nachwachsenden Geschwisterkindern besetzt, sodass die Kinder von Ersteltern, wie wir es sind, auf der Strecke bleiben. »Bekämen wir mehr Personal, könnten wir auch mehr Gruppen aufmachen« heißt es vermehrt.

Wir Eltern setzen alles in Bewegung, gehen zu Besichtigungen und klemmen uns monatelang hinters Telefon, nur um letztendlich festzustellen, dass alle Messen bereits gesungen sind. Aber gegen die Betreuungs- und Bildungspolitik kommen auch wir so nicht weiter.

Kitaplatzsuche am Telefon

Kitaplatzsuche – der Stuhltanz für Eltern

Mir kommen schon wieder die Tränen, wenn ich daran denke, dass ich doch eigentlich nur einen Ort finden möchte, an dem ich meinen Jungen gut untergebracht weiß. Einen Ort, wo er gerne seine Tage verbringt und mit Freunden spielt und streitet.

Und ja, vielleicht ist einem einjährigen Kind egal, ob es zu Haus mit Mutti oder im Kindergarten mit anderen Babys spielt. Aber irgendwann wird sich das ändern. Und es ist nicht absehbar, dass sich die Situation entspannt und unserem Sohnemann ein Platz zufliegt, wenn er älter ist. Schließlich stehen wir ja auch schon auf den Nachrückerlisten der Wartelisten…

Wenn es uns nicht trifft, trifft es andere

Selbst wenn sich für uns noch alles zum Guten wenden sollte; wir einen Betreuungsplatz bekommen und wie gewohnt unseren Jobs nachgehen… Es wird Familien geben, die nicht das Glück haben und dann vor großen Herausforderungen stehen.

Familien, die sich ja einen Anwalt nehmen, klagen und über ein vermutlich langwieriges Rechtsverfahren den Verdienstausfall einfordern können. Die ihren Nachwuchs schließlich auch in einem privaten Kindergarten unterbringen können, denn dort gibt es doch bestimmt Plätze im Überfluss. Familien, die sich finanziell strecken und auf die Empathie des Arbeitgebers hoffen müssen. Familien, die eigentlich nur eins wollen – das Beste für ihr Kind.

 

UPDATE

Es gibt eine Petition namens „Wir brauchen Kitaplätze! JETZT!“ auf change.org die für mehr Kitaplätze in Berlin plediert. Ich habe gerade unterschrieben und vor mir schon 34.000 andere!

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