Ein Glas fällt zu Boden und zerspringt in 1.000 Teile. Kleine scharfe Splitter schlittern in die hintersten Ecken des Zimmers; laute Worte fliegen hinterher. Plötzlich ist der Raum randvoll mit Frustration. Das Kind schaut ungläubig auf den Scherbenhaufen. »Ohhhh!« Der Mann schnaubt davon, um einen Besen zu holen und mir rutscht die rosarote Brille schräg von der Nase.
Scherben bringen Glück
Es genügen kleine Missgeschicke oder Missverständnisse und wir kommen aus dem Gleichgewicht. Alles in Schieflage, sodass die Stimmung umgehend in den Keller rutscht. Dabei wird mir in diesem Moment, als ich mich mit Charlie auf dem Arm wie ein Ninja aus dem Zimmer tänzle, mal wieder bewusst, wie anstrengend der ganze Mist einfach ist. Seit Wochen, ach was sage ich, mittlerweile Monaten überarbeitet. Familienleben auf dünnem Eis. Pandemie bis zur Erschöpfung.
Dabei hatten wir erst gestern einen richtig guten Tag. Es fühlte sich irgendwie alles mehr nach Normalität an. Spielplatz, in der mit Abstand längsten Schlange vor dem Eisladen warten, von Balkon zu Balkon mit den Nachbarn quatschen.
Ich glaube was uns einfach richtig zusetzt, ist die Perspektivlosigkeit. Wann Charlie wieder zur Kita gehen kann ist vollkommen unklar. Das Ausmaß der künftigen Betreuung ebenso. »Es gibt aktuell keinen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung.« Der Senat hat Hygienekonzepte und Anforderungskataloge verteilt. Schulterzucken auf allen Seiten. Mehr Infos gibt es für uns im Speziellen nicht. Nicht Systemrelevant. Vielleicht sollte uns das zu Denken geben…
Und wenn Du denkst, es geht nicht mehr…
Wir sitzen beim gemeinsamen, hastigen Mittagessen als unsere Telefone zeitgleich vibrieren. Nachrichten aus in der Kita-Eltern-Gruppe trudeln bei WhatsApp ein. Wer leitet wohl diesmal einen furchtbaren Corona-Artikel oder eine Petition für mehr Kindergeld für Pandemie-geplagte Familien weiter?
»Du wirst es nicht glauben..« Sagt Sascha. »Die Kita schreibt – es gibt einen neuen Senatsbeschluss: Alle Kinder dürfen ab Montag wieder ausnahmslos und in vollem Umfang betreut werden!«
Mir fällt vor Schreck die Kartoffel aus dem Mund. Charlie lacht sich kringelig.
»Dein Ernst?!?«
Ich kann es kaum fassen. Wir hatten mit dem schlimmsten gerechnet, uns auf weitere zwei Monate Homeoffice zu dritt eingestellt und jetzt diese Nachricht… Ich bin schier überwältigt von meinen Emotionen und freue mich so sehr. In erster Linie für Charlie! Er ist der kontaktfreudigste Mensch den ich kenne. Kaum auszudenken wie es ihm gehen wird, wenn er endlich endlich wieder in seine geliebte Kita gehen darf.
Und während er nichtsahnend das Essen für beendet erklärt und zum Spielen auf den Balkon flitzt, geht mir das Herz auf.
Tag 98 der Pandemie.
Stimmungslage: Chaos im Herzen. Alles leuchtet.
Das Kind: Ist eigentlich gerade nicht sonderlich gut drauf. Oft schlecht gelaunt ist er reizbar, laut und quengelig. Wie wir Eltern ja meist auch. Seit ein paar Tagen hat er auch einen nervösen Tick entwickelt. Aber mit der Perspektive Kita lässt sich alles irgendwie sofort besser ertragen.