Kulturschock: Berliner plötzlich freundlich?

Julia

»Dit macht dann vier fuffzich junge Frau« raunzt der bärtige Verkäufer hinter seinem Wochenmarktstand zu mir herüber. Während er mir ungeduldig den Beutel Gemüse entgegen streckt krame ich nach meinem Kleingeld. Ich verstaue meine Einkäufe gerade im Rucksack, als er mich erneut anspricht. »Warten se mal..« säuselt er plötzlich in ganz neuem Ton und raschelt ein paar Pflaumen in eine Papiertüte. »Noch ’n schönet Wochenende und allet Jute für Sie!“ Perplex nehme ich die Pflaumen entgegen und weiß gar nicht was hier gerade passiert. Bekam ich die etwa gerade geschenkt? Guckt er wirklich mich auf einmal so freundlich an und ist das ein… Lächeln? Perplex flüchte ich schnell aus dieser unheimlichen Situation in die Menge anderer Marktbummler.

Kulturschock: Berliner ploetzlich freundlich?

Soziales Phänomen

Ein paar Tage später erlebe ich erneut ein ähnliches Phänomen. Auf meinem Weg zur Arbeit stehe ich wie üblich in der Straßenbahn, als ein junges Mädchen mich ein mal von oben bis unten anguckt. So weit, so normal. Dann beginnt sie zu lächeln, spricht mich an und als ich meine Kopfhörer aus den Ohren gefummelt habe verstehe ich, dass sie mir ihren Sitzplatz anbietet. Völlig perplex von diesem Angebot lehne ich dankend ab und erinnere mich selbst gerade noch rechtzeitig daran ebenfalls ein Lächeln aufzusetzen.

Wursttheke, S-Bahn und Supermarktkasse

Umso größer mein Babybauch wächst, desto mehr erfahre ich die bislang unbekannte Freundlichkeit dieser Stadt, die ich seit 31 Jahren mein zu Hause nenne. Ich werde an Warteschlangen vorgelassen, bekomme überall einen Sitzplatz und am Ende eines jeden Einkaufs bekomme ich ein »Allet Jute!« mit auf den Weg. Ich schwebe durch die Stadt, so müssen sich Promis fühlen. Naja oder vermutlich die Bewohner sämtlicher anderer Städte in Deutschland…

Berlin

Ist das noch Berlin?

Ich liebe Berlin. Schon immer. Egal ob Winter oder Sommer, Warschauer Straße oder Kurfürstendamm. Allerdings ist diese Liebe etwas in die Jahre gekommen – kein Kopf-verdrehendes Bauchkribbeln mehr, aber ein solides gerne-nach-Hause-kommen-Gefühl. Dabei muss diese Zuneigung bedingungslos sein, denn oftmals bekomme ich auf meine ausgestreckten Arme bestenfalls ein neutrales Kopfnicken zurück. Kein Wunder also, dass es mich zunächst völlig aus der Bahn wirft vermehrt nun sogar angelächelt zu werden.

Berliner Schnäuzchen

Mittlerweile bin ich wieder so frisch verliebt wie lange nicht mehr. Wäre mein 7-Monatsbauch nicht so rund und schwer, würde ich durch die Straßen hüpfen. Diese Schwangerschaft hat mir gezeigt, wie schnell einem schon kleinste Gesten seiner Mitmenschen den Tag verschönern können. Grund für mich künftig auch mehr Höflichkeit walten zu lassen und unserem motzigen Ruf nicht gerecht zu werden.

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