»Oh wow, du siehst ganz anders aus!« flötet mein Physiotherapeut und streckt mir die Hand zur Begrüßung entgegen. »Gar nicht mehr so… hochschwanger.«
Als wir uns zuletzt sahen, hatte ich fast einen Meter Bauchumfang und einen Hexenschuss. Heute, mehr als ein halbes Jahr später, habe ich den Babybauch verloren und neue Rückenprobleme mitgebracht. Unsere Sitzung verläuft wie gewohnt – ich lasse mich wieder einrenken und massieren, während wir uns über alles mögliche unterhalten.
Die unsichtbare Mama
Erst auf dem Weg nach Hause fällt mir auf, dass wir gar nicht über mein Baby sprachen. Auch über die Geburt verloren wir kein Wort. Mein Therapeut fragte nicht weiter nach und mir kam es auch nicht in den Sinn. Eine seltsame Erkenntnis, wo doch mein Baby meinen Alltag vollkommen im Griff hat.
Andere Menschen, andere Lebenskonzepte
Ich kenne das ja von mir. Als Kinder in meinem Leben nur entfernt eine Rolle spielten, gingen mir im Gespräch mit Eltern schnell die Fragen aus, an deren Antwort ich wirklich interessiert war.
Es ist okay, wenn du dich nicht für mein Kind interessierst!
Erst seitdem ich selbst ein Baby habe, ist auch mein Interesse an den Kindern anderer gewachsen. Ich kann besser nachvollziehen, in welcher Phase sie sich gerade befinden und welche Sorgen und Freuden mit dem Elternsein zusammenhängen. Habe teilweise erste eigene Erfahrungen, die eine Unterhaltung über den Nachwuchs einfach spannender machen.
Wenn die eigenen Eltern plötzlich nur noch den Enkel besuchen
Auch in der Verwandtschaft durchlebt man als Elternteil eine Verwandlung. War man bis vor ein paar Monaten selbst noch Kind, hat einem nun der eigene Nachwuchs diesen Rang abgelaufen. Fragen nach Job, Haustieren und dem nächsten Urlaub sind den Babythemen gewichen. Ein neues Nesthäkchen regiert nun den Familienclan und zieht alle Blicke und Fragen auf sich. Verständlich. Ungewohnt.
Wenn dann die Großeltern zu Besuch kommen, wird der Enkel praktisch schon im Hausflur entgegengenommen und die nächsten Stunden kaum mehr losgelassen. Das Baby freut sich natürlich über die nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit.
Mutter und gleichzeitig Kind sein
Ich musste erst damit umgehen lernen nicht mehr der Hauptgrund des Besuches zu sein. Stand ich die ersten Male ohne Baby im Arm etwas wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend herum, freue ich mich heute über die gewonnene Freiheit.
Außerdem ist es auch fantastisch die eigene Baby-Euphorie teilen zu können. Ich denke nach den Eltern kommen die Großeltern (und Urgroßeltern) noch am ehesten in Hochstimmung bei Gesprächen rund um Babybrei und volle Windeln.
Danke, dass du nicht nach meinem Baby fragst!
Zwar könnte ich Tag und Nacht darüber reden, wie toll ich mein Baby finde, ob das jeder hören will, ist jedoch die Frage. Ich bin aktuell Vollzeit-Mama und drehe mich um mein Baby, wie die Erde um die Sonne. Die Menschen in meiner Umlaufbahn, die selbst nicht unmittelbar mit dem Thema Kind zu tun haben interessieren sich jedoch für andere Dinge. Wie eben mein Physiotherapeut.
Manchmal vergesse ich für einen Moment, dass ich Mama bin und das ist gut so
Je mehr ich darüber nachdenke, desto erfrischender finde ich das. Es ist schön von Menschen nicht nur als Mama gesehen zu werden, sondern als die Person die ich auch vor Baby war. Julia.
Ich hoffe also ein bisschen, dass wir auch bei meiner nächsten Physiotherapie-Sitzung statt von den ersten Zähnen über das letzte Festival und die neusten Restaurants sprechen. Und von mir aus auch übers Wetter.