Wir sitzen auf dem Boden im Flur. Charlie in seiner Jacke an die Wohnungstür gelehnt, seine Augen sind rot geweint, die Haare verwuschelt. Ich sitze mit etwas Abstand und genauso bedröppelt neben ihm. Wir haben uns ordentlich gestritten. So richtig.
Explosion im Hausflur
Es passiert sehr selten, dass mir die Hutschnur platzt. Heute war es dann so weit. Mein zweieinhalb jähriges Kind, dass seit Wochen seine Freunde nicht mehr sehen darf und die Kita schmerzlich vermisst wollte unbedingt auf den Spielplatz. Wir waren kurz draußen, sind aber vor der abgesperrten Schaukel natürlich abgebogen, um nach Hause zu laufen. Und heute war es ein Mal zu viel. Ein Mal zu viel Verzicht, ein Mal zu viel gesagt bekommen, was gerade alles nicht geht.
Je mehr wir uns dem zu Hause nähern, umso tiefer sickert die Gewissheit, dass heute wohl wieder einer dieser Tage werden würde, an dem wir nicht auf den Spielplatz gehen.
Charlies Traurigkeit verwandelt sich im Hausflur schließlich in Wut. Er ruft und brüllt – will wieder nach draußen. Gemeinsam mit einem großen Klumpen Frustration zwängen wir uns in den Fahrstuhl und fahren diskutierend nach oben. Vor der Haustür angekommen fliegen plötzlich die Fäuste.
Zwei traurige Krokodile
Ich trage das wild um sich schlagende Kind in die Wohnung. Schließe die Tür, seine Rufe hallen im Treppenhaus nach. Dann trifft mich eine Kinderhand im Gesicht. Es reicht! Ich brülle zurück, zittere vor Anspannung. Wir schauen uns beide entsetzt an, die Tränen platschen zu Boden.
»Denkst du mir macht das Spaß?« Einer dieser Sprüche…
Ich rufe irgendwas; schimpfe mir den eigenen Frust von der Seele. Woche für Woche den Part des Geduldigen, Verständnisvollen darzubieten strengt an und gerade kann ich nicht mehr. Habe keine Kraft mehr der Fels in der tosenden, emotionalen Brandung zu sein.
Die aufgewühlten Worte verdunsten in der salzigen Luft; es wird still. Unsere Explosion klingelt noch in meinen Ohren. Wir lassen uns beide auf den Boden plumpsen, schauen uns an und weinen noch ein bisschen jeder für sich. Nach ein paar Minuten frage ich, ob wir uns vertragen wollen. Charlie schüttelt den Kopf.
Einen kurzen Moment später liegt er mir in den Armen.
»Alles gut, Mami?«
»Ja mein Schnuppi. Alles gut, Charlie?«
»Ja!«
Tag 27 der Pandemie.
Stimmungslage: Gewitter.
Das Kind: versteht langsam die Gesamtsituation. Jetzt, in Woche 4 der Isolation, fühlt es sich eben allmählich nicht mehr wie Ferien an…